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Fakarava

Ein Blick in mein Tagebuch:

Fakarava-Atoll

Tag 1:
Von Tahiti zum Fakarava-Atoll mit dem Frachtschiff Cobia III. 3 Tage und 2 Nächte auf hoher See. In meinem Rucksack parkt der Proviant: Zelt, Schlafsack, Kamera und reichlich Bohnen. 2 Wochen. Große Freude. Sprung.

Frachtschiff "Cobia III"


Die Kabine habe ich mir schlimmer vorgestellt. An Bord sind Kapitän, Mechaniker, Matrosen, 6 Locals und zu meiner Überraschung ein französischer Journalist. „Warum das Frachtschiff?“, frage ich. „Weil ich noch nie auf einem Frachtschiff war.“ Da sitzen wir im selben Boot.


Die Bord-Crew realisiert mein Vorstellungsbild laut grölender und singender Matrosen. Eine Zeit lang bin sogar ich mittendrin im Spektakel. Ich versuche ihnen das Matrosenlied „Schiff Ahoi“ der Zeichentrickserie Wickie und die starken Männer beizubringen. Rausgekommen ist noch lauteres Gegröle. Und noch mehr Gelächter.


Pause nötig. Unbemerkt erkunde ich das Schiff und lande auf dem Helikopterplatz. Zugang verboten. Aber das Meer umgrenzt hier meinen Blick. Darüber wölbt sich der Himmel blank und blau. Ich setze mich. Da. Delfine. Dort. Fliegende Fische. Da. Möwen segeln herbei. Sie tauchen ein ins schaukelnde Blau und fliegen über meinem Kopf mit Fischen im Mund wieder fort. Das Grinsen nimmt kein Ende.


Abends zieht ein Sturm auf. Heftiger Wind. Strömender Regen. Unser kleines Frachtschiff hält dagegen. Die Wellen sind riesig. Ich rolle von einem Bettrand zum anderen. Dem beuge ich vor, indem ich mich mit meinen Ellbogen zwischen Kasten und Wand einklemme. Doch jetzt beginnt sich mein Magenkarussell zu drehen. Ich bin seekrank. Hoffe, dass meine Peristaltik nicht den Rückwärtsgang einlegt.

Der Kapitän

Tag 2:
Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen. In der zweiten Nacht ankern wir gegen 21.00 vor dem 300 Einwohner-Atoll Faa'ite. Zwischenstation. Gegen 22.00 gehe auch ich von Bord. Ich suche was Essbares und frage einen lächelnden Mann auf der Straße nach einem Restaurant. „Alles geschlossen. Aber komm zu mir. Ich mache Dir etwas“, antwortet das polynesische Pendant zu Hansi Hinterseer. Einmal mehr erwärmt die polynesische Freundlichkeit mein Herz.


Ich schmause mit Jean-Francois, seinem Bruder und seiner Mutter am Tisch. „Wann hast Du zum ersten Mal einen Ausländer gesehen?“, frage ich seine Mutter. „Im Jahr 1998. Ein Spanier. Er war damals genau so jung wie Du.“ Ich stelle viele Fragen. Außer der neuen Straße und ein paar Autos habe sich hier nichts verändert, berichtet sie. Wie die meisten hier spricht Jean-Francois 3 Sprachen: Französisch, Tahitianisch und Tuamotu. Fast auf jedem Atoll wird eine eigene Sprache gesprochen. Bei der austronesischen Sprache Tuamotu sind derzeit 7 Dialekte bekannt. Nebenbei fließt Kokosschnaps.


Stolz zeigt mir Jean-Francois seine Harpune, ein Haigebiss und den Pinocchio-Knochen eines Schwertfisches. „Vor 15 Jahren haben die Franzosen den Stress nach Tahiti gebracht. 2 meiner Brüder sind unverschuldet bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen. Deshalb bin ich vor 2 Jahren wieder zu meinem Geburtsort zurück gekehrt. Hier ist es schön. Hier ist es ruhig.“



In so einer ruhigen Minute erzählt er von seiner Sorge: Sein Bruder Hugo habe sich auf Fakarava sein Bein vor 4 Monaten gebrochen. Seitdem sei es dick wie ein Elefantenfuß. Er habe große Schmerzen, aber es gebe kein Krankenhaus auf Fakarava. „Hast Du Medikamente?“, frage ich ihn. „Ja.“ - „Weißt Du was: Ich erreiche morgen Mittag Fakarava. Gib mir Deine Medikamente. Ich werde sie Deinem Bruder bringen.“ Er sieht mich nicht an. Er antwortet nicht viel. Aus seinem Mund kommt nur ein leises: „Ja.“ Ich bedanke mich für das Essen. Mit der Medizin für Hugo in der Hand will ich zurück auf's Schiff. Doch das alte Mütterchen ruft mich zurück: „Warte!“ Sie hält eine Muschelkette in der Hand. Selbstgemacht. Sie hängt sie mir um den Hals und sagt: „Viel Glück, Reisender!“

Hafen Fakarava

Tag 3:
Ich erreiche Fakarava. Mein Weg führt mich zuerst zu Hugo. Mit seinem Onkel sitzt er vor seiner Palmblätter-Hütte. Sein rechter Fuß ist doppelt so dick wie sein linker. Ich gebe ihm die Medizin. Hugo und sein Onkel sprechen ihre Inselsprache, nur wenig Französisch. Es ist schwer sich zu verständigen. Wir unterhalten uns trotzdem 1 Stunde. 


Jetzt habe ich 10 Tage auf Fakarava. 2 Tage sind für das Tauchmekka „Fakarava Süd“ eingeplant. Den Rest davon will ich einsam verbringen. Weg von Mensch und Zivilisation. Überleben. Nach Essen und Trinken suchen. Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt...

Steg beim Topdive-Büro

In der Tauchschule „Topdive“ sagt man mir, die Saison sei vorbei. Ich könne zwar täglich bei Fakarava Nord tauchen, aber für Fakarava Süd müssten mindestens 4 Klienten an Bord sein und sie hätten noch keine einzige Buchung für die nächsten Tage. - Zurück bei Hugo. Der sagt mir: „Hier ist überall Privatgrund, da kannst Du nicht einfach so am Strand schlafen. Und erst 50km südlich hört die Zivilisation auf. Aber dahin müsstest Du schon ein Boot mieten.“ Meine beiden Träume platzen wie Seifenblasen. Binnen Minuten.


Hugo bietet mir seinen Strand an. Toller Strand, aber eigentlich wollte ich ganz weit weg. Ich baue mein Zelt auf. Das Wetter ist schön. Foto. Im selben Moment grollt Donner mit schweren Rufen ins harrende Atoll. Bald ist die Sonne nur noch ein Butterfleck am Himmel. Graue Wolken schweben mit schwerem Flügelschlag entgegen. Es wird Abend. Und immer trüber. Jetzt regnet es wie aus Eimern. Windböen peitschen mein Zelt aus. Das Innere ist längst feucht. Das Äußere hoffentlich dicht. Aufwallende Emotionen kommen hoch. Kein Tauchen. Kein Alleinesein. Furchtbares Wetter. Mein Abenteuer habe ich mir anders vorgestellt.


Tag 4:
Die Morgensonne geht auf und stellt Fragen. Sie gibt auch Antworten. Sie geht ihren Weg. Gehe ich meinen? Gestern war mein Ziel das Ziel. Nicht der Weg. Heute will ich es besser machen: auf dem Weg sein, der vor mir leuchtet. So wie bisher. Und ich freue mich gerade riesig, dass ich Hugo helfen konnte.


Ihn will ich zuerst besuchen. Hugo läuft mir schon entgegen. Sein Grinsen ist breiter als sein Schädel, als er mir zuruft: „Mein Fuß ist besser. Mein Fuß ist besser.“ Was für eine Freude! Über welch belangloses Zeug ich mich gestern Abend noch geärgert habe. „Nimm das Rad meiner Frau und sieh Dir die Gegend an“, sagt Hugo. Das trifft sich gut. Auf Fakarava gibt es weder eine Autovermietung noch ein Taxiservice. Um glücklich zu sein, braucht man weniger Verstand als Herz.

Straße auf dem Atoll

Kirche im Ort Rotoava

Blick auf die Lagune. 50 Meter ist er tief: der ehemalige, geflutete Kratergrund. 


Suchen muss man nicht. Haie sind überall.



Ammenhai (2,5 Meter lang)

alter Leuchtturm von Topaka

Ich fahre zum Flughafen. Überraschenderweise sehe ich keine Menschen. 'Geschlossen', steht auf einer Tafel. Hm... Ein Flughafen für mich allein?


Obwohl das rechte Pedal fehlt, sprinte ich mit dem knatternden Rad auf der Landebahn los. Bis zum Ende. Dann hebe ich sanft ab. In Gedanken. Ich nehme ein kurzes Sonnenbad mitten auf der Landebahn. Ich blicke nach rechts: Meer. Ich blicke nach links: Meer. Ich sprinte nach rechts. Ich sprinte nach links. Ja. Ich bin auf einem Atoll.


Ich freunde mich mit Hugos Nachbarn an: Mana. Er lädt mich zum Futsal ein.


Danach gibt mir Mana eine Lehrstunde im Speerwerfen. Ziel ist eine Kokosnuss.



Welchen Stellenwert eine Kokospalme auf einem Atoll hat, wird mir klar, als wir abends zusammen sitzen. Mana erzählt: „Zuerst bringen die Eltern ihren Kindern bei, auf eine Kokospalme zu klettern. Wer es nicht schafft, erhält Prügel.“ Mangelt es an Regenwasser oder Fisch, ist die Kokosnuss Wasser und Nahrung in einem. Der Stamm dient als Pfahl. Die Blätter dienen als Dach und Wände. Auch als Kleidung, Korb und Hut. Der Blattstängel dient als Speer- und Angelholz. Das Kokosöl – in Kombination mit verschiedenen Blättern – als Pflegemittel, Haarfärbungsmittel, Sonnen- und Moskitoschutz. Die Kokosschale dient als Teller und Dekoration. Und mit fermentierten Kokoswasser haben sie Alkohol. Die Kokospalme bietet alles was man zum leben braucht.

Mana und Familie

Mana erzählt mir auch, dass sein Großvater an den Folgen chemischer Waffentests der Amerikaner, Japaner und Franzosen nach dem zweiten Weltkrieg gestorben ist. Er hatte zwei riesige Geschwüre: „Sein Hoden hing bis zum Boden und sein Hals war größer als sein Bauch.“ Jetzt weiß ich, warum ich hier Menschen mit relativ vielen Missbildungen sehe. „Was empfindest Du, wenn Du heute einem Japaner, Amerikaner oder Franzosen begegnest?“ Mana lacht. „Das war ein Fehler der Menschen vor 50 Jahren. Mich interessiert die Herkunft der Ausländer wenig. Sie sind alle meine Freunde.“ Gänsehaut.

Hugos Frau macht Firifiri

„Hugo hat mir von Deinem Vorhaben erzählt“, sagt Mana plötzlich. „Du willst irgendwo ganz alleine sein und bei 'Fakarava Süd' tauchen. Und beides geht nicht.“ - „Ja.“ - „Ich bin der Kapitän bei 'Topdive' und muss morgen ohnehin nach 'Fakarava Süd'. Du kannst umsonst mitfahren. Mein Freund ist Dive Master und ich habe ihn schon gefragt. Egal wie viele Klienten wir haben, mit ihm wirst Du dort morgen tauchen gehen können. Danach kann ich Dich zu einer winzigen unbewohnten Insel bringen. Wenn Du willst, hole ich Dich nach 5 Tagen wieder ab und bringe Dich zurück in den Norden. Wie findest Du das?“ Seifenblasen in meinem Kopf. Mana nimmt seine Gitarre und spielt.

Nebenbei spielen wir Pétanque

Tag 5:
Aufgewacht. Blick aus dem Zelt. Ein Hai schwimmt vor meiner Tür. Vorfreude auf den heutigen Tag. 


Am Morgen fragt mich diese freundliche Verkäuferin in einem Geschäft: "Sind Sie ein Doktor?" Sie habe gehört, dass ich Hugo mit Medikamenten versorgt habe. Auf einem Atoll kennt jeder jeden. Da verbreiten sich Nachrichten in Windeseile. Wie bei "Stille Post" gibt es am Ende immer etwas Interessantes zu hören. 


Mit dem Boot fahren wir 1,5 Stunden zum Tauchmekka.


Welche Gäste sie haben, frage ich Mana. Viele Forscher. Zuletzt ein BBC-Filmteam, das eine Dokumentation über die Fortpflanzung der Soldatenfische drehte – mit einer 250.000 Euro-Kamera. Unter anderem um den Kaviarausstoß in Zeitlupe beobachten zu können. Vor wenigen Monaten war auch "Blanc Pain" mit Startaucher Gianluca Genoni hier. Die größte Uhrengesellschaft der Welt (im Besitz der Marken: Swatch, Longines, Omega, Calvin Klein, etc.) betrieb Promo und Forschung zugleich: Mit ganz speziellen Tanks und Gasen (O2, He,...) harrte der Taucher 24 Stunden im Fakarava Süd-Pass aus.

Fakarava Süd-Pass


Polynesier halten übrigens nichts vom Tauchen. Sie schütteln nur den Kopf und fragen: „Warum kommt ihr ohne Fisch wieder hoch?“ Sie fürchten sich davor. Durch zu schnelles Auftauchen sind schon zu viele Polynesier an den Folgen von Dekompressionskrankheit gestorben - oder blieben gelähmt.



Es geht los. Drift-Dive durch den Fakarava Süd-Pass. Gleich am Anfang sehe ich zum ersten Mal 1,5 Meter große Thunfische. Auch einen kleinen Schwarm Riesen-Barracudas. Und: Fische. Fische. Fische.



Flöten- und Trompetenfische

Polynesier fürchten Haie. Immer wieder kommt es zu Haiattacken – manchmal mit tödlichen Folgen. Das bestätigten mir auch meine polynesischen Freunde auf den anderen Atollen. Aber nicht weil die Haie so böse sind. „Wenn wir einen Fisch an der Harpune oder auf dem Speer haben, müssen wir schnell sein. Die Haie kommen blitzschnell. Und sie kämpfen um ihre Beute.“



In 30 Meter Tiefe verstecken wir uns 7 Minuten in einer Höhle. So bleiben wir von den Haien unbemerkt und sehen ihnen seelenruhig zu. Nur ein paar Meter von uns entfernt schwimmen sie gegen die Strömung. Es scheint, als ob sie stets auf demselben Platz schweben.

Blick aus der Grotte

Hai-Selfie in 30 Meter Tiefe

Insgesamt sehe ich 5 verschiedene Haie: Schwarzspitzen-Riffhaie, Weißspitzen-Riffhaie, Grauhaie, Ammenhaie und einen Großen Schwarzspitzenhai. Dass es hier von Tigerhaien nur so wimmelt, ist ein Gerücht. Mein Divemaster sah zuletzt vor 3 Monaten einen Tigerhai.


Wie viele Haie wir heute gesehen haben, frage ich den Divemaster. "Über 200." Insgesamt sollen sich 632 Haie in diesem engen Atoll-Pass aufhalten. 


Der Korallengarten ist unfassbar schön. Großflächig leuchtet er in allen möglichen Farben. In großen Tiefen kann meine GoPro-Kamera allerdings die Farben nicht richtig wiedergeben. 



Schade nur, dass ich die Korallen und ihre Bewohner nicht länger beobachten kann. Bei unserem Drift Dive schweben wir mit starker Strömung zügig über den Garten. 



Beim Auftauchen sehe ich ihn: Napoleonfisch. Kleine Mahlzeiten braucht man ihm gar nicht erst anzubieten. Längere Feldzüge macht Napoleon nur wenn es sich lohnt. Dann kommt er auf mich zu. Mein Kopf würde in sein Maul passen. Wie ein Staubsauger saugt er mein Futter ein. Genial.




Endlich Picknick. Nach dem Tauchen esse ich 2 von diesen Mahlzeiten. 


Am Nachmittag gehe ich mit Mana auf Fischjagd. Mit der Harpune. Ständig achten wir auf uns umzingelnde Haie. 



Walskelett auf der Topdive-Insel

Dieser Kokoszaun ist keine Dekoration. Aufgeschlagene Kokosnüsse werden in dieser Konstellation zum Trocknen übereinander gelegt. So können Regenwasser und Krebse nicht eindringen. 3 Tage später lösen sich die weißen Kokosraspeln von der Schale. Damit füllen sie einen großen Sack. Für 60€ verkaufen sie ihn nach Tahiti, wo Kokosöl hergestellt wird. Ein kleines Zubrot für Mana.


Abends nehme ich eine Lehrveranstaltung bei Mana: „Einführung in das Speerfischen“. Zuerst zeigt er mir, welche Fische essbar und giftig sind. Dann geht’s mit Petroleumlampe los, auf messerscharfen Rifffelsen. Es ist Ebbe. Und überraschend einfach. Die Fische schlafen unter den Korallensteinen. Man muss sie nur aufspüren und in den Kopf treffen.



Genau so ist es mit Hummern und Langusten. „Nach 1 Stunde habe ich 20 Stück“, sagt Mana. Leider ist diesmal Vollmond. Zu hell. Wir sehen nur einige Krebse. Die Krustentiere kann Mana übrigens mit seiner Nase aufspüren. Kein Scherz.


Unterwegs sehe ich 2 kleine Tintenfische und mehrere Muränen, die sich uns entgegen schlängeln. „Vorsicht!“, warnt Mana, „die können Dir einen Zeh abbeißen.“ - Ich deute auf meine riesigen Zehen und antworte: „Das glaube ich nicht.“ Mana lacht.

Muräne

Dieser Eimer ist vor 6 Monaten angespült worden. Die Griffe vor 2 Monaten. Netze und alles andere zwischendurch. Mana hat daraus einen Fischrucksack gebastelt.


Tag 6:
Inselsuche. Man kann von Insel zu Insel waten. Es ist, als ob man einen Fluss durchquert. Der Wasserstand reicht von knietief bis brusttief. Mit meinem Rucksack muss ich aufpassen. Einige Motus sind in Privatbesitz, andere sind unbewohnt. Welche Insel ist die richtige für mich?

Von Motu zu Motu



Diese Insel. Ihre Schönheit umspannt kein Verstand. Schön und rau zugleich - perfekte Imperfektionen. Woanders hätte ich vielleicht Menschen, oder ein Schiff sehen können. Hier nicht. Ich will einmal völlig isoliert sein. Physisch und psychisch. Ich habe nicht mal eine Uhr, die tickt. Jetzt lebe ich in der Ereigniszeit. 5 Tage, 4 Nächte. Ein Experiment. An mir. Für mich.

Trekkr Island

Ich baue mein Zelt auf. Dann sind alle Sinne auf Empfang. Ich schließe Bekanntschaft mit Familie Krebs. Ich begrüße das Meer und jede Palme. 63, wenn ich mich nicht verzählt habe. Ich füge mich in die Idylle, die nichts verspricht und alles hält.


Ich erquicke mich an meinem täglichen Blickfeld. Kokospalmen. Sonnenstrahlen spielen sich in den Blättern, und spinnen sich von Palme zu Palme.


Mana erzählte mir, ein Forscherteam habe vor einem halben Jahr nur ein paar Motus weiter die Artenvielfalt der Vögel auf dem Fakarava-Atoll untersucht. Ich gehe spazieren. Vielleicht hält die Natur eine Überraschung für mich bereit. Das tut sie. Ich sehe Tölpel. Auf den Galapagos-Inseln - 5.000km weiter östlich - habe ich Blau- und Rotfußtölpel gesehen. Hier haben sie also braune Füße.


Braunfußtölpel

Die Faulheit freut sich und gedeiht. Sie legt sich in den Schatten. Die Luft nehme ich stillatmend ein.


Im Norden hatte ich noch Hugos Frau gefragt, wie ich selbst Kleidung herstellen kann. Mit Palmblättern, sagte sie. Es geht ziemlich einfach. Wie Krawatten binden. 


Auf meiner Insel trägt man Tracht. Sonst nichts.


Es wird Abend. Gelblich glimmernd hängt er am Himmel: Vollmond. Nachts wird man wohl mit Mücken Zelten.


Tag 7:
Seit 3 Stunden bin ich schon wach. Träge fließen die Momente. Ich blicke zur gleißenden Sonne hoch. Es dürfte 8 Uhr morgens sein. Es ist feuchtheiß. Die Luft drückt auf meine Lungenflügel. Es gibt kaum Schatten auf meiner Insel. Das Wasser der meisten Kokosfrüchte, die ich aufschlage, ist gegoren. Mana hat mir vor 2 Tagen lächelnd gesagt: „Schmeckt wie warmes Sprite.“ Gut für das mentale Stehvermögen. Aber viele Schlucks werden es nicht.


Die Sonne sticht. Man hält dagegen. Langsam aber sicher werde ich krank. Alles dreht sich plötzlich um mich. Dehydration. Ich bekomme kaum Luft. Mein Herz schlägt zu schnell. Jemanden zu kontaktieren ist zwecklos. Ich bin auf einer winzigen Insel in einem Atoll mitten im Pazifischen Ozean. Hier gibt es kein Signal. Ich schreie. Lauter. Am lautesten. Mir wird schwarz vor Augen. Mit schweren Schritten schleppe ich mich zum Meer. Abkühlung. Zurück in den Schatten. Hinlegen. Gedankenrasen. Ich will Menschen sehen. Ein Vogel setzt sich vor mir. Oder in meinen Kopf? Ich werde verrückt, glaube ich. Ein Lied aus meiner Zeit im Kindergarten taucht auf: 'Warum nur warum'. Irgendwann schlafe ich ein.

Tag 8:
Ich denke an gestern. Krankheit & Kulturschock zugleich. Rückblickend ein Gewinn. Wenn man reist nimmt man translokale Identitäten an. Man kommt sich selbst auf die Spur. Im Umgang mit anderen Menschen ist das essentiell. Insofern begreife ich mein Sein als Mentaltraining deluxe.

Trekkr Island

Ruhe ist nicht mehr in Mode. Das Modell ist ausgelaufen. Heute reicht mir die Ruhe ihre Hände. Das Phänomen der Langeweile kommt nicht auf. In westlichen Kulturen glaubt man, wenn man nichts tut, seine Zeit nicht genutzt zu haben. Dann führt die eigene Rastlosigkeit zur Ratlosigkeit.
Es weht Wind, und meine Gedanken fort. Heute ist ein guter Tag.

Tag 9:
Steinzeit: Ich bin Jäger und Sammler. Ich sammle Kokosfrüchte. Ich jage Fische. Ich mache Feuer mit alten Kokosschalen. Einsam? Gestern schon. Jetzt nicht mehr. Der Grund warum sich Menschen einsam fühlen ist nicht, weil sonst niemand da ist. Der Grund ist, weil sie nicht in Harmonie mit sich selbst sind. Und wenn sonst niemand da ist, sind sie einsam mit ihrem Feind: sich selbst. 

Sonnenaufgang

Im Sand liegend blicke ich auf die Wasserwüste vor mir. Unterhaltsam sind meine Gedanken heute: Einmal spiele ich am Meeresgrund mit Fischen im Sand. Dann folgt eine Achterbahnfahrt mit einem Buckelwal. Verrückt. Und das ist gut so.

Tag 10:
Fotopause. Denkpause. Tief glücklich.

Tag 11:
Ich packe mein Zelt. Ich wate die 2 Inseln zurück zu Mana's Insel. Ich bin so glücklich wieder unter Freunden zu sein. Später treffe ich nette deutsche Urlauber. Die ärgerten sich aber sehr über ihre Unterkunft (400€/Nacht für 2 Personen) und sie hätten nicht einmal warmes Wasser zum Duschen gehabt... Wenigstens hat sich der Urlaub gefreut.



Abends mit dem Schiff zurück in den Norden. Ich gehe wieder auf einer Straße. Ich setze mich wieder auf einen Stuhl. Ich esse wieder auf einem Tisch. Sensationell! Wie praktisch diese Erfindungen des Menschen sind. 


Abends gehen wir zum Kai fischen. Mana spielt Gitarre. Wir singen. Und fischen. Dann entdeckt Mana einen Fehler an einem Hafenhaken, der 4 Meter über uns hängt. Mana klettert an der Stange hoch. Ich kann es nicht fassen. Seine 6-jährige Tochter ebenso. Sie verdeckt ihre Augen und wimmert ihrem Vater „Tata, Tata, non!“ zu. „Warum riskierst Du Dein Leben wegen so etwas?“, frage ich ihn. - „Riskiert? Ich bin tausende Palmen hoch geklettert. Und der Haken hätte jemandem auf den Kopf fallen können.“ Das ist Polynesien. Irrationale Nächstenliebe.



Tag 12-13: 
Stille Rückfahrt nach Tahiti.

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