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Nairobi

Als ich abends in Nairobi lande, ist es überraschend kalt. Es hat nur 13°C. Kenias Hauptstadt liegt auf über 1.600 Meter über dem Meeresspiegel. 




Nyayo Memorial

Als 2010 der US-amerikanische Vizepräsident Joe Biden Nairobi einen Besuch abstattete, wurde das gesamte Zentrum abgesperrt. Das Hilton-Hotel wurde geräumt, und Joe Biden hatte das Zylinderhaus ganz für sich allein. 

Hilton Hotel

Über 3 Millionen Menschen leben hier. Smog sehe ich keinen. Die Feinstaubbelastung ist trotzdem sehr hoch - vor allem neben der Straße. 

Straßenstaub

Straßenarbeiten

Abseits vom vielen Staub findet man in den Vierteln West- und Woodland Parks und Grünflächen.


Central Park

Massai-Frauen

Tanzende Menschen bei einer Demonstration

Ich habe mich immer gefragt, was es in Afrika zu essen gibt: Hauptsächlich nährstoffreiche Hülsenfrüchte sowie Reis, Kartoffeln und manchmal Fleisch. 

Ugali mit Bohnen und Tomaten

Chapati mit Bohnen und Kraut

Mein Favorit: Ugali mit Sukuma wiki. Ugali ist ein fest gekochter Getreidebrei aus Maismehl. Erinnert mich an Polenta, nur etwas weniger Geschmack. Sukuma wiki ist ein gebratener Blattspinat mit Chili, Zwiebel und Knoblauch. 

Ugali mit Sukuma wiki

Karanga (gekochtes Rindfleisch mit Kartoffeln)

Ich entdecke auch zwei Sodagetränke der Firma Coca Cola, die ich noch nicht kannte. Schmeckt gut.

Ingwer-Soda

Bitter Lemon

2013 wurden bei einem Anschlag auf das Westgate-Einkaufszentrum 67 Menschen erschossen. Hauptsächlich christliche Opfer. Die Täter waren keine Muslims, sondern Terroristen der somalischen Al Shaabab-Miliz. Seitdem steht das Gebäude leer. 


Nach 18.00 sollte man zurück in seiner Unterkunft sein. Denn im Dunkeln bahnt sich Gefahr an. Das gilt auch für Einheimische. Tagsüber müssen Weiße im Zentrum damit rechnen, von Schwarzen angesprochen zu werden. Es beginnt mit einem netten Smalltalk. Dann wird man Ihnen vorschlagen, woanders hinzugehen um einen Café zu trinken. Diese Masche kannte ich bereits aus meiner Studienzeit in Shanghai. Dort lockt man in der Nanjing Rd. Touristen mit einem Tee in schauderhafte Seitengassen um sie auszurauben. 


Gleich an meinem ersten Tag in Nairobi spricht mich ein Mann an. Zu meiner Überraschung hat er fundierte Kenntnisse über Österreichs Geografie und seine Gesellschaft. Als das Gespräch interessant wird, kommt, was ich erwartet habe. Er will mit mir an einen Ort gehen, den ich nicht kenne. Ich lehne höflich ab. Aber er: "In unserer Kultur trinkt man gemütlich einen Café, wenn man sich schön unterhält. Wollen Sie das nicht?" Ablehnende Antworten müssen in anderen Kulturen vorsichtig formuliert werden. Ich: "Wissen Sie, in meiner Kultur geht man gerne. Wir können diese Hauptstraße gemütlich entlang spazieren und uns weiterhin schön unterhalten. Was sagen Sie?" Der Mann dreht sich um und geht. Einheimische sagen mir später, dass genau solche Männer Touristen entführen.


Am zweiten Tag spricht mich wieder so jemand im Vorbeigehen an. Der Mann ist zwar sehr freundlich. Aber wohlwissend was mich erwartet, bin ich diesmal wortkarg, gehe schneller. Am Ende fragt er: "Kannst Du mir etwas Reis für meine Eltern kaufen?" Damit habe ich nicht gerechnet. Victor hat keinen Job und kommt aus dem größten Slum Nairobis: Kibera. Als wir im Supermarkt sind, sucht er nach dem größten Reissack, den er finden kann. Er hat 10kg. Das berührt mich. Ich merke wie groß die Not des Mannes sein muss. Victor sieht mich an, lächelt und sagt: "Ok, das ist alles." Er verlangt nicht mehr. Ich: "Nein. Nimm noch Wasser, Mangos und Bananen mit." Dann erblicken meine Augen Süßes. Schokolade und Kuchen isst Victor bestimmt nicht oft. Ich will ihm etwas davon kaufen und sage: "Such Dir etwas aus" - "Danke." Aber Victor zögert. "Kann ich stattdessen Eier, Butter und Mehl nehmen, um Brot backen zu können?" Da wird mir klar, wie viel unnötiges Zeug in meiner Gesellschaft gegessen wird. Als wir uns vor dem Supermarkt verabschieden, sagt Victor, dass er sich schon auf das Gesicht seiner Eltern freut.

Alles Gute, Victor!

Ich habe 2 Freunde in Nairobi. Beide raten davon ab, in das Armenviertel Kibera zu gehen. Über 1 Million Menschen leben dort in einem der größten Slums Afrikas. Ohne Strom, ohne Trinkwasser, ohne Toiletten. Zusammengepfercht auf engstem Raum. "Zu gefährlich", sagen auch Einheimische. Selbst die Rezeptionistin in meinem Hotel warnt mich: "Bitte gehen Sie nicht!" Ohne Guide könne ich ausgeraubt, gekidnappt, ja sogar umgebracht werden. 


In Absprache mit meinem Verstand und Herzen hat sich schließlich mein Bauchgefühl dafür entschieden, alleine nach Kibera zu gehen. Ich habe sogar meine 1.000$-Kamera um den Hals gehängt. Damals, in einer der gefährlichsten Favelas von Rio de Janeiro, habe ich es übrigens genauso gemacht. 

Kibera-Slums


Am Eingang zum Kibera-Slum, halten mich zwei Polizisten auf. "Hast Du denn keinen Guide? Mann, Du weißt, dass Du weiß bist. Geh nicht alleine! Das ist zu gefährlich für Dich." - "Das glaube ich nicht." Und gehe an ihnen vorbei. Anfangs ist es noch eine breite, asphaltierte Straße. Während Hühner und Ziegen vor mir spazieren, sehe ich viele kleine Verkaufsstände.

Gemüsestand

Futterkrippe

Holzkohle

Langsam gewinne ich den Eindruck, dass die Menschen hier glücklich sind. Zuerst starren mich alle an, dann folgt ein warmes Lächeln. 


Ein junger Mann mit Schubkarren blickt zu mir auf und fragt höhnisch: "Willst Du mir helfen?" Schallendes Gelächter. Aber ich sage "ja" und gehe auf ihn zu. Er ist verdutzt. Damit hat er nicht gerechnet. Ich nehme ihm den Schubkarren ab und falle fast um. Deutlich mehr als 100kg. Alle lachen. Noch einmal. Jetzt schiebe ich seinen Karren den ganzen Hügel hinauf. Man beobachtet. Man lächelt.


Oben erzählt er, dass er hier für ein Sozialprojekt arbeitet. "Du bist mutig, hier alleine zu spazieren. Die Leute kalkulieren schon im Vorbeigehen den Preis Deiner Kamera. Nimm lieber einen Guide - für Deine eigene Sicherheit." - "Ich gehe alleine." - "Dann bleib wenigstens hier in der Nähe. Die Leute werden Dich weiter drin abstechen." - "Das habe ich jetzt schon so oft gehört. Ich glaube daran, dass hier sehr nette und freundliche Menschen leben. Ich will sie treffen." Der junge Mann ist sprachlos. Einer seiner Freunde sagt: "Danke." Ich gehe weiter. Jemand ruft mir nach: "Bleib auf der Hauptstraße!"

Ziege "grast" im Müll

Ich habe genug von den Ratschlägen. Ein paar Schritte weiter springe ich über einen kleinen Bach voller Scheiße und Plastik. Beißender Gestank. Jetzt bin ich drin.



Wände bestehen im besten Fall aus Lehm, meistens aus Wellblech oder Karton. Wirklich ergriffen bin ich von den Menschen, denen ich hier begegne. Sie starren nicht mehr. Sie lächeln nur noch. Alle grüßen. Jeder will ein Gespräch beginnen. Und die meisten sagen statt "hallo" zuerst "danke". Das verwirrt mich. Vielleicht macht es sie glücklich, dass sich ein Weißer hierher traut. Oder vertraut.


Es dauert nicht lange. Dann lädt mich ein Mann zum Essen ein. "Bitte. Meine Frau hat gekocht. Kosten Sie!" Ich esse mit ihm Kideri (= Wasser, Mais und Bohnen). Salz hat er keines. Ich will ihm einige Schilling dafür geben. Der Mann lehnt ab.

Kideri

Gekochte Bohnen und Mais

Bei den Kindern hat es sich längst herum gesprochen: Ein Weißer ist da! Sie begleiten mich nicht nur, sondern springen und tanzen um mich, greifen nach meiner Hand, in mein Gesicht, in mein Haar. Pure Freude und lautstarkes Gelächter - scheinbar in einer Endlosschleife. 


Eines der Kinder entdeckt die leere Coca Cola-Dose in meiner Kameratasche. Der Bub, etwa 3 Jahre alt, fragt mich danach. "Es tut mir leid. Ich hab schon alles leer getrunken", sage ich ihm. Aber die Augen des Kindes werden nicht kleiner. Er zeigt darauf. Ich gebe sie ihm. Er presst die leere Dose gegen seine Lippen und versucht die letzten Tropfen Cola auszusaugen. Mit breitem Grinsen und dankbarem Augen sieht er mich jetzt an. Mir kommen die Tränen. Wie kann man so viel Glück in einer leeren Dose Coca Cola finden?


Eine Frau - genauer gesagt Mama Kideri - winkt mich her und sagt, ich soll von ihrem Gericht kosten. "Ich habe eigentlich gerade gegessen. Aber gut, ich nehme ein, zwei Löffel", sage ich. "Ein, zwei Löffel? Sieh Dich doch mal an wie groß Du bist!", entgegnet sie und macht mir einen Teller voll. Mama Kideri...

Essen bei Mama Kideri

Unterwegs höre ich immer wieder aus den Schachtelhütten: "Hallo" und "Danke". Ich sehe diese Leute nicht einmal. Ich kann es kaum glauben, wie man mich hier empfängt.


Ein Mann öffnet seine Haustür und lädt mich zu sich ein. Einmal mehr verschlägt es mir die Sprache. 5 Quadratmeter Wohnfläche, die er sich mit Ehefrau und seinen 3 Kindern teilt. 



Die Kinder, die mir folgen - manchmal sind es fünf, manchmal 30 - ziehen mich am Hemd und wollen spielen. Manchmal laufe ich mit drei Kindern auf dem Arm herum. Und wenn ich die Kamera raus nehme, will jedes Kind auf dem Foto sein. 


Ziellos gehe ich durch ein Labyrinth aus Lehmhütten, klettere über Wände und springe immer wieder über Bäche aus Plastik und Fäkalien.




Sein Geschäft verrichtet man hockend in einer dunklen Ecke. Selten gibt es ein öffentliches WC. Das hat dann zwar eine Spülung, aber die Exkremente führen danach in keine Kanalisation. 

öffentliches WC (UN-Habitat)

So sammeln sich die Fäkalien in kleinen Gräben. "Der nächste Regen spült dann alles weg", sagt mir ein Mann. Diese ineffektiven Abwassersysteme sind auch der Hauptgrund für die Verbreitung von Malaria. In solchen Sümpfen legen Moskitos ihre Eier ab.

ein Fäkalien-Bach

Was in diesen Säcken drin ist, frage ich. Plastik und Metall, das die Kinder unterwegs aufsammeln. Hat man nach einigen Wochen 20kg zusammen, wird an einen Händler verkauft. 1.600 Schilling gibt es dann - etwa 15 Euro. Das wird dann unter mehrere Familien aufgeteilt.


Jemand greift mir auf die Schulter und will mir das lokale Gasthaus zeigen. Ich gehe mit. Als ich eintrete, sehe ich einen Tisch, auf dem eine halbleere Flasche Schnaps steht. Die 5 Gäste sind betrunken, haben weite Pupillen. Aber eine angenehme Aura. Wir unterhalten uns gut. Ein Satz ist mir in Erinnerung geblieben: "Wir haben nicht das Glück gehabt, in einem Land wie Deinem geboren worden zu sein. Aber wir sind keine schlechten Menschen, nur weil wir keinen Job haben, schwarz oder arm sind. Gott ist auch bei uns zuhause. Jeden Tag."


Ich und die Kinder gehen weiter. Als mich wieder eine junge Familie anspricht, mache ich Rast. Ein Junge sitzt neben mir. Ich habe noch einen Apfel und gebe ihm meinen. Doch dann nimmt ihm die Mutter, die hinter ihm steht, den Apfel weg. Ich sehe sie verblüfft an. Aber sie lächelt nur, hält ein Messer in der Hand und sagt: "Wir teilen hier alles." Sie schneidet den kleinen Apfel in etwa 20 Stücke und ruft alle Kinder herbei, die mir gefolgt sind. So hat jedes Kind etwas vom Apfel gehabt.


Hungersnot, Malaria, Meningitis, Cholera und Typhus sind allgegenwärtig. Bei den Fingernägel eines Kindes sehe ich, dass es Polio hat. 50.000 AIDS-Fälle soll es laut Behörden geben - das ist nur die offizielle Zahl. Trotz lebensbedrohlichem Alltag machen diese Menschen von Groß bis Klein einen so glücklichen und zufriedenen Eindruck. Was für ein Reichtum! Diesen Tag werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen.


Sind Sie glücklich?

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